Früher haben mich meine Ängste erdrückt. Heute habe ich immer noch hin und wieder Angst. Doch statt mich von ihr einschüchtern zu lassen und mich unruhig im Bett herum zu wälzen, hilft mir heute meine Angst, mein Leben so zu führen, dass ich abends zufrieden einschlafen kann. Wie sie dies tut und wie Deine Angst auch Dir helfen kann, darum geht es in diesem grundlegenden Artikel.
Das Thema Angst ist gerade in der aktuellen Zeit wichtiger denn je und es liegt mir am Herzen, dass Du Dich nicht von der Angst unterkriegen und herunterziehen lässt – der Preis ist hoch, zu hoch, wie ich finde.
Wenn Du das Gefühl hast, Deine Angst belastet Dich, sie lässt Dich einfach nicht los, sie wird immer lauter, egal wie häufig Du sie wieder versuchst zu verdrängen, dann möchte ich Dir eine bestimmte Haltung vorstellen. Diese Grundhaltung hilft mir, meine Angst nicht länger zu verteufeln, sondern sie liebevoll anzunehmen.
Ich möchte Dir diesen Umgang mit der Angst gerade in dieser besonders herausfordernden Zeit, jetzt im Jahr 2020, ans Herz legen. Denn so können wir die Energie der Angst kanalisieren und sie konstruktiv nutzen. Statt uns von ihr herunterziehen zu lassen, kann sie uns helfen (über uns hinaus) zu wachsen.
Der veränderte Umgang mit meiner Angst hat mein Leben transformiert und hilft mir heute zu bewältigen, was auch immer mir das Leben präsentiert. Mögen meine Erkenntnisse auch Dir helfen, Deine Herausforderungen zu meistern und ein erfülltes Leben zu führen.
Dabei spreche ich übrigens nicht nur aus meiner Erfahrung. Ich lasse auch Erkenntnisse beispielsweise aus der Arbeit des Psychologen und Psychoanalytikers Fritz Riemann einfließen. Sein Buch „Grundformen der Angst“ ist ein absoluter Klassiker und mittlerweile in der 45. Auflage erhältlich.
Dieser Artikel ist keiner, der in fünf Minuten Dein Leben ändert. Er ist durchaus nicht gerade kurz, doch dieses zentrale Thema braucht seinen Raum. Überflieg ihn nicht nur nebenher, wenn Dich immer wieder Ängste belasten. Vor allem wünsche ich mir, dass Du den Inhalt sacken lässt. Um dieses Thema etwas aufzulockern teile ich mit Dir außerdem einige ermutigende persönliche Erfahrungen.
Bereit? Dann los!
Ich wünsche Dir dabei viele hilfreiche Einsichten!
Inhaltsverzeichnis
- 1 Meine Beziehung zur Angst
- 2 Was ist eigentlich Angst und was macht sie mit uns?
- 2.1 Angst bringt uns also in einen Überlebensmodus
- 2.2 Wie wir reagieren, wenn wir im Überlebensmodus sind
- 2.3 Angst kann sich auf die Gesundheit auswirken
- 2.4 Säbelzahntiger im neuen Gewandt
- 2.5 Vier Grundformen der Angst bzw. grundlegende Impulse im Leben
- 2.6 Wir alle kennen Angst, doch sie wird subjektiv erlebt
- 2.7 Angst im Jahr 2020
- 3 Wie ich lernen durfte meine Angst anzunehmen
- 4 Ein konstruktiver Umgang mit der Angst
- 5 Was ich Dir noch mit auf den Weg geben möchte
- 6 Angst ist nicht Dein Feind, sofern Du sie nicht dazu machst
Meine Beziehung zur Angst
Vor vielen Jahren habe ich einmal eine Art Angst-Inventur gemacht. Ich nahm mir Zettel und Stift und begann aufzuschreiben, wovor ich Angst habe. Puh, ich schien aus dem Auflisten gar nicht mehr rauszukommen. Es war bedrückend. Gab es eigentlich überhaupt etwa, wovor ich keine Angst hatte? Keine Ahnung. Die Liste habe ich zum Glück nicht mehr und sie gehört der Vergangenheit an.
Wenn ich heute Angst spüre, ist sie nicht mehr so intensiv, sie lässt in der Regel recht schnell nach und ich fühle mich nicht länger von ihr erdrückt oder überfordert.
Dafür musste ich lediglich meinen Umgang mit der Angst ändern. Und genau dazu möchte ich auch Dich mit diesem Beitrag anregen.
Was sich beispielsweise für mich verändert hat
Ich hatte vor allem Möglichen Angst, beispielsweise zu enttäuschen und enttäuscht zu werden (hier kannst Du anschließend mehr über einen konstruktiven Umgang mit Enttäuschungen erfahren). Vieles belastete mich und ich versuchte meine Ängste zu verdrängen. Doch erst als ich nach und nach lernte, wie ich auf eine hilfreiche Art und Weise mit meiner Angst umgehen kann, begriff ich, was sie mir mitzuteilen hatte.
Beispielsweise war meine permanente Angst, was andere über mich denken könnten, letztlich eine Angst, dass ich nicht liebenswert sein könnte, und ein Spiegelbild meiner tiefen Sehnsucht dazu gehören zu wollen. Ironischerweise erlebe ich tiefe, nährende Verbindungen erst, seitdem ich mehr und mehr entdecke, wer ich wirklich bin, und mich traue, mein wahres Wesen auch anderen gegenüber zu zeigen.
Wie ich dank meiner Angst heute tiefere Verbindungen erleben kann
Ich hatte beispielsweise auch Angst, wenn jemand spät dran war oder sich nicht meldete, dass demjenigen etwas passiert sein könnte. Spüre ich heute scheinbar unbegründet diese Angst, dann ist diese für mich ein Hinweis, dass ich die Verbindung mit diesem Menschen (oder auch dem Tier) bewusster erleben sollte. Ich schaue also, wie ich bewusst Zeit mit demjenigen verbringen kann und mich liebevoll diesem Menschen widme. Auch wenn ich diesen Mensch nicht direkt sehen kann (z.B. aufgrund der großen räumlichen Distanz), dann suche ich nach alternativen Möglichkeiten, wie ich unsere Beziehung bewusst pflegen und wie ich demjenigen oder derjenigen bewusst eine Freude machen kann. Es gibt ja auch andere Wege in Kontakt zu sein, die volle Aufmerksamkeit zu schenken und sich liebevoll zuzuwenden als nur ein persönliches Treffen.
Diese Herangehensweise ermöglicht mir, auf dem ursprünglichen Boden der Angst Verbindung zu erleben, statt die Angst als trennendes Element fungieren zu lassen. Letzteres geschieht jedoch, wenn wir uns von der Angst dominieren lassen, statt bewusst mit ihr umzugehen. Angst hält uns dann davon ab, tief gehende Verbindungen mit jemandem einzugehen. In Alarmbereitschaft scannen wir die Umgebung permanent auf Gefahren ab. Tiefe Verbindung braucht jedoch das In-sich-ruhen und von der inneren Mitte heraus die bewusste Verbindung mit dem Gegenüber. Unsere Aufmerksamkeit ist ausschlaggebend damit Verbindung gelingen kann. Mehr dazu kannst Du später hier nachlesen.
Meine Angst hilft mir heute, mich voll und ganz aufs Leben einzulassen
Hielt mich meine Angst früher vom Leben ab, so hilft sie mir heute, dass ich nicht länger das wirkliche Leben verpasse. Denn ich habe gelernt ihr zuzuhören.
Am Ende meines Lebens möchte ich nicht zurückblicken und das Gefühl haben, das Leben versäumt zu haben; ich möchte nicht bereuen, was ich alles nicht getan habe. Stattdessen will ich auf ein erfülltes Leben zurückblicken können.
Meine Angst hat mir geholfen, zu erkennen, was für mich wichtig ist, was für mich stimmig ist und was nicht. Dank ihr ergründe ich mehr und mehr mein wahres Wesen. Seitdem ich liebevoll mit ihr umgehe, hilft mir meine Angst, mich wirklich aufs Leben einzulassen.
Wenn sich heute eine Angst in mir regt, dann ist das natürlich nach wie vor ein unangenehmes Gefühl. Doch ich bin ihr dankbar, dass sie mir hilft, durchs Lebens zu navigieren und es wirklich zu leben.
Okay, nun hast Du eine Ahnung, wie sich mein Leben und meine Lebensqualität durch einen veränderten Umgang mit der Angst verbessert haben. Lass uns als nächstes gemeinsam Angst an sich betrachten, um zu ergründen, wie sie das Leben beeinflusst und wie auch Du bewusst mit ihr umgehen kannst.
Und lass uns mal schauen, ob wir Angst ohne Angst betrachten können ;-)
Was ist eigentlich Angst und was macht sie mit uns?
Angst ist ein unangenehmes, beklemmendes Gefühl, das uns auf mögliche Gefahren hinweist. Es ist ursprünglich ein Überlebensmechanismus, der den Körper in Alarmbereitschaft versetzt, damit sich der Mensch beispielsweise vor einem Säbelzahntiger retten kann.
Angst bringt uns also in einen Überlebensmodus
Unser Körper wird dazu angeregt, uns vor dem metaphorischen Säbelzahntiger zu retten. Stresshormone werden ausgeschüttet. Der Sympathikus aktiviert unsere körperlichen Ressourcen, um entsprechend auf die Gefahr zu reagieren. Beispielsweise werden der Puls und die Atmung schneller. Kurzfristig nicht überlebenswichtige Funktionen werden gedrosselt, wie die Verdauung und das Immunsystem. Wir haben den sogenannten Tunnelblick, unsere Aufmerksamkeit ist gänzlich auf die (mögliche) Gefahr fixiert.
Ich erspare Dir hier eine detaillierte Erklärung der körperlichen Abläufe. Was ich Dir mitgeben möchte ist ein Verständnis, was Angst generell körperlich mit uns macht. Letztlich ist sie nämlich einfach dazu da, Anpassungs- und Schutzmechanismen auszulösen, die uns bei einer Gefahr helfen sollen.
Wie wir reagieren, wenn wir im Überlebensmodus sind
In der Regel schalten wir auf Kampf- oder Flucht-Modus oder versuchen uns zu verstecken bzw. erstarren.
Sind wir im Überlebensmodus ist unsere Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt. Der Tunnelblick ist aktiv, und es geht nur noch darum, die Gefahr zu überstehen.
In diesem Zustand sind wir nicht fähig mitzufühlen, da unser ganzer Organismus auf das eigene Überleben eingestellt ist. Der Fokus ist verengt.
Wer von Angst erfüllt ist, nicht weiter weiß, sich überfordert fühlt, der sucht zudem möglicherweise nach Anhaltspunkten und Personen, die einem sagen, was zu tun ist. Wer dies macht, gibt damit seine Eigenverantwortung ab und wird aufgrund der starken Verunsicherung, die der Angst zugrunde liegt, leicht manipulierbar.
Auch wenn es jemand gut meint, muss es jedoch noch lange nicht heißen, dass der Ratschlag wirklich hilfreich ist. Jeder schaut durch eine andere Brille auf die Welt, geprägt durch die eigenen Erfahrungen. Was der eine als die optimale Lösung identifiziert, muss es für den anderen noch lange nicht sein.
Angst kann sich auf die Gesundheit auswirken
Aus diesem Grund ist es vorteilhaft, sich bewusst mit der eigenen Angst auseinanderzusetzen.
Ich habe bereits erwähnt, dass das Immunsystem unter dem Einfluss von Angst heruntergefahren wird. Sie kann jedoch auch das Gehirn negativ beeinflussen (hierzu eine Studie vom Helmholtz Zentrums München und dem Max-Planck-Instituts für Psychiatrie).
Dieses Thema schneide ich jedoch absichtlich nur an, um nicht weitere Angst in Dir hervorzurufen. Behalte einfach im Hinterkopf, wie wichtig es ist, nicht dauerhaft in einem Angstzustand zu sein. Das ist alleine schon dadurch total logisch, da eine dauerhafte Alarmbereitschaft unseren Organismus in sofern aktiviert, dass die Gefahr abgewendet werden kann; gleichzeitig jedoch jene Aktivitäten herunter gefahren werden, die fürs kurzfristige Überleben nicht notwendig sind. Dies betrifft beispielsweise die Verdauung sowie Regenerationsprozesse.
Säbelzahntiger im neuen Gewandt
Heute gibt es zwar keine Säbelzahntiger mehr, doch wenn etwas als Gefahr identifiziert wird, dann greift nach wie vor der Mechanismus, der unser Überleben sichern soll. Dabei ist es egal, was als Gefahr identifiziert wird, sei es der Chef, der gerade mit grimmiger Miene das Büro betritt, sei es eine existenzielle Bedrohung, weil sich die Wirtschaftslage ungünstig entwickelt, sei es die Angst vor einem Erreger, der die eigene Gesundheit gefährden kann, oder sei es auch „nur“ die Schwiegermutter, die zu Besuch kommt. Oder sei es die Angst vorm Verlassenwerden, weil der Freund momentan irgendwie anders drauf ist, die Angst zu spät zu kommen und einen schlechten Eindruck zu hinterlassen, die Angst eine dunkle Straße alleine hinunter zu gehen, die Angst, als Elternteil zu versagen oder gar die Angst zu sterben.
Vier Grundformen der Angst bzw. grundlegende Impulse im Leben
Es gibt viele verschiedene Ängste. Generell lassen sich diese laut Fritz Riemann auf vier Grundängste zurückführen: Angst vor der Hingabe, Angst vor der Selbstwerdung, Angst vor der Veränderung und Angst vor der Notwendigkeit.
Alle Ängste könne auf diese zurückgeführt werden und sind Extreme oder Verzerrungen dieser Ängste oder Verschiebungen auf Ersatzobjekte. Auf den ersten Blick ist dies vielleicht noch etwas schwierig zu erfassen. Daher lass mich erklären, worauf Riemann diese Ängste zurückführt.
Er leitet sie aus unserem In-der-Welt-Sein ab und den Impulsen, die wir alle mehr oder weniger spüren:
- Wir streben danach, ein einmaliges Individuum zu werden. C.G. Jung sprach in diesem Kontext auch von der Individuation. Es ist ein Drang unabhängig und autark zu sein. Entsprechend wird Abhängigkeit vermieden und sie kann Angst hervorrufen.
- Wir sehnen uns nach inniger Verbindung bzw. Hingabe. Wir wollen uns vertrauensvoll öffnen und aufeinander einlassen können. Entsprechend macht es Angst, sich zu einem Individuum zu entwickeln und durch dieses Anderssein möglicherweise einsam zu werden und Geborgenheit zu verlieren.
- Wir sehnen uns nach Beständigkeit, Dauer und Sicherheit, nach einer planbaren Zukunft. Einher geht somit die Angst vor Veränderung, Vergänglichkeit und Unsicherheit.
- Dies ist der grundlegende Impuls zur Entwicklung bzw. Wandlung, der Zauber des Unbekannten. Im Gegenzug machen Einschränkungen, Regeln, Ordnung, Notwendigkeiten und Festlegungen Angst.
Beim Lesen wird bereits deutlich, dass dies paradoxe Anforderungen sind, denen wir uns im Leben zu stellen haben. Riemann schreibt dazu: Es ist „als ein Zeichen von seelischer Gesundheit anzusehen, wenn jemand die vier Grundimpulse in lebendiger Ausgewogenheit zu leben vermöchte – was zugleich bedeutet, dass er sich auch mit den vier Grundformen der Angst auseinandergesetzt hat.“
Riemann geht so weit zu sagen, „dass wir in gewissem Sinne umso lebendiger sind, je mehr wir in allen vier Bereichen zu Hause sind bzw. wenn keiner der Grundimpulse völlig ausfällt“.
Vertiefend empfehle ich Dir sein Buch „Grundformen der Angst“.
Wir alle kennen Angst, doch sie wird subjektiv erlebt
Welche Ängste jemand spürt und in welcher Intensität, ist jedoch sehr individuell. Was dem einen große Angst bereitet, das stört den anderen vielleicht nicht einmal im Geringsten. Vergleiche anzustellen bringt daher nichts, ganz im Gegenteil, sie können sogar belasten, wenn es scheint, dass andere weniger Probleme mit der entsprechenden Angst haben. Für den einen ist beispielsweise Fliegen ein Horrorszenarium, andere lieben es. Für Angst gibt es keinen Maßstab.
Angst hängt zudem auch von der jeweiligen Lebensphase ab. Riemann erklärt: „Angst tritt dort auf, wo wir uns in einer Situation befinden, der wir nicht oder noch nicht gewachsen sind. Jede Entwicklung, jeder Reifungsschritt ist mit Angst verbunden, denn er führt uns in etwas Neues, bisher nicht Gekanntes und Gekonntes, in innere oder äußere Situationen, die wir noch nicht und in denen wir uns noch nicht erlebt haben.“
Angst, in welcher Form auch immer, gehört also zu unserem menschlichen Dasein dazu und begleitet uns durch unser Leben.
Angst im Jahr 2020
Aktuell sind wir alle mit einer Situation konfrontiert, die bisher so nie dagewesen ist. Es ist also vollkommen menschlich, dass sich auch Ängste melden. Jeder wird aufgrund seiner eigenen Persönlichkeitsstruktur, seiner Geschichte und seines Schicksals andere Erfahrungen machen und somit auch seine ganz individuelle Angst spüren und vermutlich aufgrund einer im Laufe des Lebens bewährten Bewältigungsstrategie damit umgehen. Die Frage ist, ob die übliche Umgangsweise, die meist eine unüberlegte Reaktion ist, hilfreich ist. Denn nur, weil es beispielsweise als Kind die Situation erleichtert hat, sich anzupassen und dem Vater oder der Mutter oder den Schulkameraden recht zu machen, hilft das nicht zwangsweise auch in einer Situation im Erwachsenenalter. Oder wer bisher Fluchtreaktionen genutzt hat, erlebt möglicherweise daraus resultierende neue Herausforderungen.
Die Lage ist also neu für jeden von uns. Jeder geht unterschiedlich damit um, weil jeder Teil seiner eigenen Geschichte ist.
Welche Ängste melden sich in der aktuellen Lage in Dir? Wie gehst Du damit um? Hast Du das Gefühl, dass Dein gegenwärtiger Umgang mit Deiner Angst Dir hilft?
Wie ich lernen durfte meine Angst anzunehmen
Lass mich nun mit Dir teilen, wie ich es geschafft habe, die Angst nicht länger zu verteufeln. Ich hoffe, Du hast danach Lust, ebenfalls diese Herangehensweise auszuprobieren.
Angst verschwindet nicht, ehe wir uns ihr gewidmet haben. Wenn ich eins begriffen habe, dann, dass unter den Teppich kehren bei Angst nichts bringt. Meine Ängste sind weniger geworden und haben nachgelassen, weil ich ihnen Aufmerksamkeit geschenkt habe, ihnen bewusst Raum gab und ich erkennen durfte, was sie mir mitzuteilen haben.
Es bringt nichts Ängste zu ignorieren, sie beiseite zu schieben oder sie mit positiven Gedanken zu übermalen – sie und ihre Energie sind dann immer noch da.
Früher kehrte ich so viele Ängste unter den Teppich und er wölbte sich so sehr, dass er schließlich nicht mehr alles verdecken konnte. Es reichte ein kleiner Anlass, ein Stolpern über die Teppichkante und schwups sprang mit gewaltiger Wucht meine Angst hervor. Meist war das dann ziemlich unverhältnismäßig in Anbetracht der Lage und erst recht nicht logisch.
Fakt ist: Es war verdammt anstrengend und mein Leben habe ich mir durch meine damalige Teppich-Strategie ziemlich erschwert.
Es kam der Moment, da war der Teppich so zerfressen von der Angstenergie darunter, dass temporäres Ignorieren keine Option mehr war. Ich musste mich der Angst stellen.
Ich bin ganz ehrlich zu Dir: Das war eine Zeit in meinem Leben, die höchst emotional war und in der ich viele Tränen vergoss. Doch ich erlebte etwas Verblüffendes: Wann immer ich mich einer alten Angst gestellt hatte und sie wahrhaftig fühlte, dann fühlte ich mich danach erleichtert und freier.
Ungefühlte Angst beschwert und belastet. Der Widerstand gegen sie bindet Energie. Zugleich hat die Angst selbst eine Energie, die wenn sie erstmal freigesetzt ist, durchaus konstruktiv genutzt werden kann. Damit hatte ich nicht gerechnet! Was ich da an Energie in mir freisetzte verblüffte mich.
Ja, der Prozess, mich diesen unter den Teppich gekehrten Ängsten zu widmen, war anstrengend. Doch ich kann sagen, es hat sich für mich gelohnt, mich der Angst zuzuwenden. Wenn sich heute wieder etwas unter meinem alten Teppich regt, dann gehe ich freiwillig hin, hebe ihn an und schaue, was da noch ist. Heute kann ich das tun, weil ich aufgeräumt habe. Doch ich muss sagen, es gab auch Zeiten, da überrollten mich die alten Ängste förmlich. Ich bin unendlich dankbar, dass ich in dieser Zeit Menschen um mich herum hatte, die mir halfen, diese schwierige Zeit durchzustehen, die für mich da waren, mich hielten, mir Raum gaben.
Ja, so half mir meine Angst tatsächlich tiefe Verbindung zu erfahren.
Ich bin ihr unendlich dankbar!
Ein konstruktiver Umgang mit der Angst
Also, konnte ich Dir Mut machen zu schauen, was unter Deinem Teppich ist?
Wenn ja, dann lass uns genauer anschauen, wie Du für Dich eine Haltung der Angst gegenüber entwickeln kannst, die Dich stärkt.
Angst hat eine Botschaft
Ja, Angst ist unangenehm. Doch sie ist auch tiefgründig und kann, wenn wir uns auf sie einlassen und hinhören, sehr aufschlussreich sein.
Angst will uns helfen, damit wir dem umgehen können, was möglicherweise ansteht. Wir können sie nutzen, um angemessen zu reagieren. Angst kann uns also helfen, letztlich tatsächlich ein Gefühl zu entwickeln, dass wir stemmen können, was auch immer kommen möge. Somit würde uns die Angst nicht länger einengen, vereinsamen lassen, sabotieren oder uns und anderen schaden. Stattdessen kann sie uns helfen, dass Leben wirklich zu leben.
Angst vermittelt uns, was wir tief in uns drin nicht möchten. Entsprechend weist sie uns zugleich darauf hin, wonach wir uns zutiefst sehnen. Sie deutet uns somit auch den Weg zu unserem wahren Wesen, das in der Regel verborgen unter Konditionierungen und Erwartungen in uns weilt. Angst ist so gesehen unendlich wertvoll.
Es ist wichtig, die Angst anzuerkennen. Sie ist nicht grundlos da. Wer sich verständnisvoll der Angst zuwendet, als wäre es ein guter Freund, und wer sich ihr sogar fürsorglich oder gar liebevoll widmet, der wird ungeahnte Kraft und Energie in sich entdecken, die zuvor ganz tief vergraben war.
Angst zu ignorieren ist gefährlich, denn wir übersehen die wichtige Botschaft, die sie für uns hat. Kurzschlusshandlungen sind ebenfalls gefährlich, denn dies sind in der Regel Überreaktionen, die für uns und möglicherweise auch für andere schädlich sein können.
Es geht also darum einen angemessenen Umgang mit der Angst zu entwickeln.
Was, wenn wir einfach lernen, das Gefühl zuzulassen, die Information darin zu erkennen und einen Weg zu finden für sich stimmig damit umzugehen?
Angst kann somit dazu beitragen, dass wir wachsen und reifer werden. Riemann schreibt dazu: „Das Annehmen und das Meistern der Angst bedeutet einen Entwicklungsschritt, lässt uns ein Stück reifen. Das Ausweichen von ihr und vor der Auseinandersetzung mit ihr lässt uns dagegen stagnieren; es hemmt unsere Weiterentwicklung und lässt uns dort kindlich bleiben, wo wir die Angstschranke nicht überwinden.“
Angst an sich ist also weder gut noch schlecht. Entscheidend ist, wie wir mit ihr umgehen, wie sie unser Leben beeinflusst. Die größte Herausforderung ist wohl, die Angst einfach zuzulassen.
Wie willst Du mit Deiner (gegenwärtigen) Angst umgehen?
Wir können Angst nicht gänzlich loswerden. Wir können Phasen ohne Angst erleben, doch Angst ist ein fester Bestandteil unserer menschlichen Erfahrung.
Du hast die Wahl, wie Du die Beziehung mit Deiner Angst gestaltest.
Wie reagierst Du, wenn Angst in Dir aufkommt?
Macht die Angst etwas mit Dir oder machst Du etwas mit der Angst?
Lässt Du Dein Leben von der Angst bestimmen? Oder widmest Du Dich bewusst Deiner Angst und nutzt sie als wichtige Informationsquelle?
Erkenne, was Deine Angst Dir sagen will
Wenn Du bereit bist, Dich Deiner Angst zuzuwenden, dann lass sie zu. Verurteile sie nicht. Es ist überhaupt nicht schlimm Angst zu haben. Sie ist ein überlebenswichtiger Mechanismus in uns.
Wovor hat Du Angst? Wie spürst Du die Angst im Körper? Was will Dir Deine Angst gerade mitteilen? Was brauchst Du? Wonach sehnst Du Dich? Was kannst Du konkret tun, um Dich dem zuzuwenden bzw. dem näher zu kommen?
Ist es Liebe und tiefe Verbindung nach der Du Dich sehnst? Ist es ein langes erfülltes Leben? Was auch immer es für Dich ist, ich wünsche Dir die Offenheit, Dich dem zuzuwenden, statt Dich panisch zu verschließen. Ich wünsche Dir, dass Deine Angst Dich erkennen lässt, was Dir wirklich wichtig ist, und dass sie Dir hilft, Dein Leben aus einer neuen Perspektive zu betrachten. Somit kannst Du die aktuelle Zeit für Dich nutzen, zu prüfen, was für Dich noch stimmig ist und was nicht. Nutze die Botschaften Deiner Angst, sodass Du Deine wertvolle Lebenszeit zukünftig noch bewusster ausfüllst.
Warum es gerade in dieser Zeit so wichtig ist
Wie auch immer sich die Umstände weiter verändern, Deine Angst kann Dir dabei helfen, zu erkennen, was Du wirklich brauchst und willst. Sie kann wertvolle Hinweise geben, sodass Du bewusst von innen heraus entscheiden kannst, wie Du auf die äußeren Veränderungen reagieren willst. Jetzt ist die Zeit, nach innen zu hören. Im Außen gibt es so viele verschiedene Meinungen und Informationen – so viele, dass es durchaus verunsichern kann. Also horche nach innen, statt nach außen. Lass Dich leiten, lerne Dir zu vertrauen und Du wirst den Halt finden, den Du im Außen vergeblich suchst.
Die Angst und alle weiteren Gefühle können uns zur Seite stehen und helfen, immer wieder aufs neue die Lage evaluieren, sodass wir – was auch immer geschieht – einen Weg durch diese unruhigen Gewässer finden. Dabei müssen wir bereit sein, gegebenenfalls auch von langfristigen Plänen loszulassen oder sie anzupassen – je nachdem, wie sich die Lage entwickelt. So kann uns die Angst sogar helfen, flexibel zu sein und souverän mit der Ungewissheit umzugehen.
Erkenne Deine Möglichkeiten zu reagieren
Abgesehen von den Erkenntnissen, die Du gewinnen kannst und die Dir langfristig helfen, ist es natürlich auch entscheidend, wie Du kurzfristig mit der möglichen Bedrohung umgehst. Meist hat sich, wie bereits erwähnt, im Laufe unseres Lebens eine Strategie – Kämpfen, Flüchten oder Verstecken – etabliert, die sich früher als nützlich erwiesen hat.
Heute kann es jedoch sein, dass andere Reaktionen viel hilfreicher sind oder dass uns die übliche Reaktion sogar schaden kann.
Daher möchte ich Dich dazu einladen zu beobachten: Welche Strategie nutzt Du in der Regel? Ist es eine bestimmte oder kannst Du auch auf die anderen beiden zurückgreifen? Könntest Du auch einmal anders reagieren als üblich? Würde Dir das womöglich sogar viel mehr helfen?
In der Regel reagieren wir in Gefahrensituationen ganz automatisch, um eben die Gefahr möglichst schnell abzuwenden oder sich ihr zu stellen – schnelle Reaktionen können schließlich überlebenswichtig sein. Schau daher einfach auf vergangene Situationen und Deine Reaktionen und spiele mental Alternativen durch. So erweiterst Du Deinen Handlungsspielraum für zukünftige Situationen. Warum? Je größer unser Handlungsspielraum, desto größer unsere Flexibilität, wodurch sich unsere Chance vergrößert, die Herausforderung bestmöglich zu meistern.
Was ich Dir noch mit auf den Weg geben möchte
Das Thema Angst ist riesig, dazu können unzählige Bücher gefüllt und Seminare gehalten werden. Doch ein Schritt nach dem anderen. Ich hoffe, dieser Beitrag hilft Dir, Deinen Umgang mit der Angst so zu gestalten, dass Du handlungsfähig bleibst.
Drei Aspekte möchte ich Dir zudem als kleine Impulse abschließend mit auf den Weg geben.
Zum Wesen der Angst: Wir sind nicht unsere Angst
Wenn Du Angst spürst, dann gehe innerlich einen Schritt zurück und beobachte, was in Dir vorgeht. Dann wirst Du feststellen können, dass Du nicht Deine Angst bist, denn Du kannst sie ja beobachten. Angst kann in uns aufsteigen, wir können sie wahrnehmen, doch sie vergeht auch wieder. Wir sind sie nicht.
Der Drang nach dem Kick – Wenn Angst süchtig macht
Angst kann tatsächlich sogar abhängig machen. Der Adrenalinschub wirkt berauschend. Bleibt er aus, so suchen wir möglicherweise bewusst oder unbewusst nach Wegen, wieder einen solchen Kick zu bekommen. Auch wenn wir die damit verbundenen unangenehmen Gefühle vielleicht nicht mögen, so kann es dennoch sein, dass wir immer wieder auf der Suche nach diesem Rausch sind und dass wir das Gefühl haben, dass etwas fehlt, wenn dieser ausbleibt.
Wie sehr brauchst Du den Kick?
Ohne Angst kein Mut
Übrigens können wir nur aufgrund unserer Angst mutig sein, denn sie ist die Voraussetzung dafür.
„Mut ist nicht die Abwesenheit der Angst, sondern die Erkenntnis, dass es etwas gibt, das wichtiger ist als die Angst.„ – Ambrose Redmoon
Also, was ist Dir wichtiger als Deine Angst?
Angst ist nicht Dein Feind, sofern Du sie nicht dazu machst
Ich betone es hier nochmals: Die ursprüngliche Intention unserer Angst ist, uns zu helfen.
Die Angst sagt Dir ganz deutlich, was Du nicht willst und nicht brauchst bzw. was Du vermeiden solltest. Also nutze diese Information und erkenne entsprechend, was Du stattdessen möchtest und was Du konkret dafür tun kannst. So nutzt Du Deine Angst als weisen Berater, der Dir hilft, Dein Leben zu meistern. So macht Dich die Angst stark, statt schwach.
Lass Dich nicht von der Angst einengen und panisch werden.
Jede Situation kannst Du also nutzen, Dir noch bewusster zu werden, was Du wirklich brauchst und was Dir wichtig ist. Du kannst Deinen wahren Wesenskern mehr und mehr ergründen und somit auch das, wofür Du hier bist und was Du in die Welt tragen möchtest.
Die Angst als Berater oder gar Freund anzunehmen, ist eine große Lernaufgabe und keine, die so einfach zu meistern ist. Übung lässt uns besser darin werden. Und dieses Jahr wird uns sicherlich noch viele Möglichkeiten dazu bieten. Also lasst uns gemeinsam üben.
Möge Dir Deine Angst helfen, ein erfülltes Leben zu führen!
Ich wünsche Dir den Mut, Dich Deiner Angst zuzuwenden, sie liebevoll anzunehmen, ihre Botschaft zu erkennen und entsprechend angemessen zu reagieren! Mögest Du so gestärkt aus dieser turbulenten Zeit hervorgehen!
Alles Liebe von Herzen
PS. Zum Umgang mit Unsicherheit hab ich hier einen weiterführenden Artikel für Dich.
PPS. Ich kann Dir auch die Lektüre von Fritz Riemanns Klassiker „Grundformen der Angst“ empfehlen. Selbst wenn Du erstmal nur Deine nächsten Mitmenschen bei den Beispielen vor Augen haben solltest und Du die Inhalte noch nicht direkt auf Dich beziehst, wirst Du sicherlich einige hilfreiche Erkenntnisse haben. Häufig fühlen wir uns übrigens gerade von jenen Menschen sehr angezogen und fasziniert, die das leben, was wir in uns bisher (nur) erahnen, möglicherweise unterdrücken, und was noch nicht von uns gelebt wird. Auch eine Art, sich dieser Lernaufgabe in der Schule des Lebens zu nähern ;-)
PPPS. Kennst Du jemanden, den dieser Beitrag interessieren und helfen könnte? Dann leite ihn gerne weiter. Es ist wichtig, dass wir uns in dieser Zeit nicht länger von unserer Angst beherrschen lassen, sondern stattdessen ihre wertvollen Hinweise als Hilfestellung nutzen. So können wir aus unserem Inneren heraus weise Entscheidungen treffen, wie wir mit der aktuellen Situation umgehen wollen, uns bewusst werden, in welcher Welt wir leben wollen, und erkennen, was wir dazu beitragen können.
PPPPS. Solltest Du befürchten, dass Dich Deine Angst überfordert, dann suche Dir bitte professionelle Hilfe. Gerne unterstütze ich Dich auch im Umgang mit Deinen Gefühlen. Vereinbare hier ein unverbindliches Vorgespräch. Oder schreibe mir eine Nachricht.
Bilder: Pixabay